Militärtribunale

Nach der ersten, von den anglo-amerikanischen Alliierten formulierte Hypothese, ein einziges großes Strafverfahren zu Lasten der Kommandeure der Wehrmacht, verantwortlich für die in Italien begangenen Kriegsverbrechen gegen die Bevölkerung zu organisieren – was aber nicht realisiert wurde -, eröffneten die alliierten Militärgerichte in den ersten Nachkriegsjahren Gerichtsverfahren gegen einzelne hohe Offiziere der Wehrmacht. Zu ihnen gehörten: Eberhart von Mackensen und Kurt Mälzer 1946 in Rom (zum Tode verurteilt , dann umgewandelt), Albert Kesselring 1946 in Venedig (zum Tode verurteilt , dann umgewandelt), Max Simon (zum Tode verurteilt, dann umgewandelt), Edward Peter Crasemann (zu 10 Jahre verurteilt, dann umgewandelt) und Willy Tensfeld (freigesprochen) 1947 in Padua. Gleichzeitig wurden vor einem britischen Militärgericht der General Nicola Bellomo (Bari 1945) und vor einem amerikanischen Militärgericht der General Anton Dostler (Caserta 1945) angeklagt, beide wurden wegen Kriegsverbrechen gegen gefangene alliierte Soldaten zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Von 1948 an wurden weitere Verfahren an die italienischen Militärgerichte überwiesen. Obwohl nur 13 Strafverfahren zum Urteil führten – alle zwischen Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre – betrafen diese Prozesse Massaker von großer Bedeutung: den Massenmord von “Fosse Ardeatine” Anklage gegen den Oberstleutnant Herbert Kappler; die Massaker von Monte Sole, Bardine San Terenzo, Valla e Vinca, angeklagt der Major Walter Reder; die Massaker von Stia, Valluciole und Civitella della Chiana, angeklagt Wilhelm Schmalz, Generaloberst; den Massaker von Padule di Fucecchio, angeklagt Major Josef Strauch.

In der ersten Phase der Gerichtsverfahren wurden vielfach Freisprüche ausgesprochen oder im Verhältnis zur Schwere der Straftat lächerliche Strafmaßen verhängt. Zugunsten der Angeklagten wurde die Aussage, die Befehle der Oberen befolgt zu haben, als mildernder Umstand anerkannt. Zu Beginn der fünfziger Jahre befanden sich nur zwei verurteilte deutsche Militärs im Gefängnis um ihre lebenslängliche Strafe abzusitzen: Herbert Kappler und Walter Reder. Auch wenn man die 18 Strafverfahren mitbetrachtet die eröffnet aber während der Ermittlungsphase eingestellt wurden, ist die Gesamtzahl der Gerichtsverhandlungen wegen Kriegsverbrechen, in dieser ersten Phase überraschend niedrig.

Eine zweite, konsistentere Phase der Gerichtsverfahren beginnt vor den italienischen Militärgerichten ab Mitte der neunziger Jahre. Der Start dieser Prozesse steht mit dem Wiederauffinden der 695 Untersuchungsordner – beim Sitz der Allgemeinen Militäranwaltschaft im Palazzo Cesi in Rom – über die Kriegsverbrechen der deutschen Militärangehörigen und faschistischen Elementen der RSI im Zusammenhang. Diese Ordner wurden 1960 rechtswidrig auf Anordnung des leitenden Militärstaatsanwalt Enrico Santacroce “provisorisch archiviert”. Die Akten wurden 1994 bei den Ermittlungen zum Gerichtsverfahrens gegen Erich Priebke wiederaufgefunden. Die rechtswidrige Archivierung war 1996 Gegenstand der Untersuchungskommission des Militärgerichtsrates und 2003 einer parlamentarischen Untersuchungskommission.

Die Staatsanwaltschaften bei den territorialen Militärgerichten von Turin, Padua, La Spezia, Verona, Rom und Neapel mussten dutzende von neuen Ermittlungsverfahren durchführen. Die Anklagen, die bis zur Verhandlung kamen, beziehen sich zwischen 1994 und 2003 auf fünf Fälle, zu ihnen gehört die gegen Oberstleutnant Sigfried Engel wegen des Massakers von Benedicta und der Turchino und der Prozess gegen den SS Hauptsturmführer Theo Saevecke wegen dem Blutbad auf der Piazzale Loreto in Mailand im Jahre 1944, beide endeten mit der Verurteilung zur lebenslänglichen Haft. Die anderen 17 Verfahren wegen Massaker zulasten der deutschen Angeklagten durchliefen die verschiedenen Gerichtsphasen und führten zwischen 2004 und 2014 zu letztinstanzlichen Urteilen, vielfach zu lebenslänglicher Haft. Die verhandelten Massaker waren: San Cesario sul Panaro, Certosa di Farneta, Sant’Anna di Stazzema, Civitella Val di Chiana, Barzolino und San Tomè, Monte Sole, San Terenzo und Vinca, Casalecchio di Reno, Padule di Fucecchio, Stia, Vallucciole und Mommio, Monchio, Susano und Costrignano, Civago und Cervarolo, Borgo Ticino, Fragheto und Cefalonia.

Diese zweite und späte Prozessperiode, die vor den Militärgerichten verhandelt wurde, hat aber nicht die deutschen Angeklagten in der Hauptrolle der Gerichtsverhandlungen gesehen – diese waren nicht anwesend und wurden auch später nicht ausgeliefert um die Strafe abzubüßen. In der Hauptrolle hingegen waren die Opfer und ihre Verwandten, die nach über sechzig Jahren der Ereignisse vorgeladen wurden um auf die Gewalt und deren Effekte auf ihr Leben einzugehen mit dem Versuch, die Masse der erlebten Trauma in zeitlichen, materiellen, physischen und gefühlsmäßigen Dimension zu “quantifizieren”.